/psychiatrisch - neurologische Erkrankungen /Depression Überblick /Wirkung der Antidepressiva Wirkung der Antidepressiva
Es gibt kein „Superantidepressivum“
- Alle verfügbaren Substanzen erhöhen die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im synaptischen Spalt
- Lediglich der Weg wie diese Erhöhung erzielt wird, unterscheidet sich bei den verschieden Stoffklassen
- Die Wirksamkeit zwischen den verschieden Stoffklassen und Substanzen unterscheidet sich nicht relevant
- Es gibt Zweifel an dem „Serotonin-Wirkprinzip“ (Bschor 36/7)
- Auf ein Antidepressivum spricht jeweils nur die Hälfte der Behandelten an
- Mit einem Wirkeintritt ist frühestens in 2-3 Wochen zu rechnen
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Die Metaanalyse von Capari
prüfte die Effektstärke von 21 Antidepressiva[1]
Effektstärke
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Klinische Relevanz
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<0,2
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unbedeutend
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0,2 – 0,5
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schwach
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0,8 – 0,8
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mittelstark
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>0,8
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Stark
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2 – 4
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Sehr stark
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Die von Capari et al. ermittelte Effektstärke aller 21 Antidepressiva zusammengenommen beträgt 0,3
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Dieser schwache Effekt deckt sich mit den täglichen Erfahrungen in der Psychiatrie:
- Antidepressiva helfen,
- aber zu wenigen Menschen,
- oft nicht stark genug
- und erst nach einer mehrwöchigen Verzögerung
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„Aber es gibt ernst zu nehmende Argumente, dass selbst die von Cipriani ermittelte Effektstärke von 0,3 überschätzt ist und Antidepressiva tatsächlich noch schwächer wirksam sind“ (Bschor 79) |
Die Meta-Analyse von Irving Kirsch
- Der US-Psychologe gilt als Experte für den Placebo-Effekt.
- In seiner Meta-Analyse aus 19 RCT’s streute die Effektstärke auffallend stark
- In Studien in denen das Antidepressivum eine besonders schwache Wirkung zeigte,
- war das Placebo nahezu unwirksam.
- In Studien in denen das Antidepressivum hoch wirksam schien,
- profitierten auch die Patienten der Placebo-Gruppe sehr gut von ihrem Scheinmedikament
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Interpretation
- daraus schloss er, dass die antidepressive Wirkung nur sehr wenig auf der pharmakologischen Wirkung beruht
- sondern wesentlich vom Ausmaß
- der Depression
- der Zuwendung
- und der Begleittherapie abhängt.
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Anteil an der antidepressiven Wirkung nach Irving Kirsch
Chemisch pharmakologische Wirkung
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25%
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Spontane Besserung im Verlauf
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24%
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Placebo-Effekt
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51%
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Warum die Antidepressiva-Wirkung in Studien überschätzt wird
- Die Verblindung funktioniert in Studien häufig nicht
- Selection Bias
- Publikations-Bias
- Studienplanung durch die Hersteller
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Die Verblindung funktioniert in Studien häufig nicht
- Ärzte und Patienten können an Hand der UAW's erkennen ob das Antidepressivum
- oder ob das Placebo zum Einsatz kommt.
- Wenn das bekannt ist, kommt es unweigerlich zur Verzerrung (Bias) der Resultate
- Anntidepressiva wird eine höhere -
- Placebos eine geringere Wirkung zugeschrieben
- Einzige Alternative wären „aktive Placenbos“ (Bschor 84ff)
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Selection Bias
- In RCT’s werden nur besonders geeignete Patienten eingeschlossen
- in der Regel werden in Studien ausgeschlossen:
- ältere Menschen
- mit körperlichen und seelischen Begleiterkrankungen
- Abhängigkeitserkerankungen
- Persönlichkeitsstörungen
- oder mit Suizidrisiko
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Auswirkungen der Selection-Bias
- Patienten ohne diese Ausschlusskriterien haben eine höhere Chance auf ein Antidepressivum anzusprechen
- Nur 22% der im klinischen Alltag behandelten erfüllen die Einschlusskriterien
- Bei allen anderen gibt es somit keinen Wirknachweis durch Studien
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Publikations-Bias
- 74 Studien wurden der FDA für die Medikamentenzulassung vorgelegt
- davon wurde nur jede zweite durch die FDA als positiv bewertet.
- Nur 51 der 74 Studien wurden in einer Fachzeitschrift veröffentlicht,
- in 48 davon schnitten die Antidepressiva besser ab als das Placebo
- Das lag daran, dass 2/3 der von der FDA negativ beurteilten Studien nie veröffentlicht worden waren. (Bschor 86)
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Studienplanung durch die Hersteller
- Studien sind teuer und aufwändig
- werden daher so gut wie immer von Herstellern organisiert und finanziert
- daher werden Studien zum Teil so geplant,
- dass das Antidepressivum gegenüber dem Placebo bevorteilt wird!
- Lösung: öffentlich finanzierte Studien (Bschor 86)
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Das Märchen vom Serotoninmangel
- Ein Serotoninmangel konnte bei depressiven Menschen noch nie nachgewiesen werden
- Die vielen Antidepressiva die Serotonin verstärken: Trizyklika, SSRI, SNRI, Auto-Rezeptor-Blocker
- haben eine gleich stark ausgeprägte Wirksamkeit
- wie Medikamente ohne Effekt auf Serotonin wie Bupropion (Wellbutrin®) und Maprotilin (Ludiomil®)
- Tianeptin hat sogar eine abschwächende Wirkung auf Serotonin
- unterscheidet sich in seiner Wirksamkeit aber nicht von den „Serotonin-Verstärkern“ (Bschor 89)
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Serotonin ist kein „Glückshormon“
- Es ist lediglich ein Neurotransmitter im synaptischen Spalt
- Es verursacht nicht pauschal positive Gefühle
- Sondern sehr unterschiedliche Effekte, unter anderem:
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Serotonin UAW
- Übelkeit
- Innere Unruhe
- Sexuelle Störungen
- Bei Kombination mehrerer Serotonin-verstärkenden Medikamenten droht das Serotoninsyndrom: Fieber, Verwirrung, Muskelzuckungen, Herzrhythmusstörungen (Bschor 90)
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Literatur:
[1] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(17)32802-7/fulltext
erstellt 2-2020 |